Añoranzas – Gefühle nach der Rückkehr
„Na, wie war dein Jahr?“
„Hey, wie cool, du bist wieder zurück! Wie war’s?“
„Wie war’s denn so in Argentinien, bestimmt richtig cool,
oder?“
Versuche einer Antwort…
… ähm, ja, es war gut?!
… eine tolle Erfahrung!
… war richtig schön dort!
… ja, ich hatte wirklich ein spannendes Jahr!
So oder so ähnlich antworten wir
wahrscheinlich alle auf die Fragen, die wir in den letzten Wochen fast täglich
gestellt bekommen haben. Meine Gedanken waren jedes Mal irgendwas zwischen „Wie
soll ich das bitte in einem Satz oder gar einem Wort beantworten?“, „Cool, da
interessiert sich jemand dafür!“ und „Ach, die Leute hier verstehen es doch eh
nicht“… Oft genug haben wir vor unserem Freiwilligendienst in Santiago gehört,
das vermutlich Schwierigste daran wäre, nach einem Jahr dann nach Europa
zurückzukehren, und das scheint sich nun zu bestätigen. Plötzlich denke ich mir
nur noch, ich will einfach wieder zurück, dort war es doch so toll, die
Menschen waren viel freundlicher, das Wetter war schöner, das Essen besser,
viel lieber würde ich meinen Nachmittag damit verbringen, freche Kinder zu
bändigen und zu unterhalten, anstatt bei Regen am Schreibtisch zu sitzen und zu
versuchen, mich auf die französische Geschichte im 19. Jahrhundert zu
konzentrieren.
Jeder hat irgendwie seine eigene
Art, mit dem neuen alten Umfeld und der Verarbeitung der Erfahrungen des
letzten Jahres umzugehen. Der eine schweigt still und ist tief in seinen
Gedanken, oder versucht, so beschäftigt zu sein, dass die Gedanken und Gefühle
gar nicht hochkommen können, der andere skypet jeden Tag mit seinen Lieben am
anderen Ende der Welt, der nächste schwärmt und diskutiert und erzählt
ausgiebig, was er alles erlebt und gesehen hat. Dass es eine Art
„Gebrauchsanleitung“ gibt, mit der Umstellung am besten fertig zu werden, kann
ich mir nicht vorstellen. Genauso wie ein Jahr in einer anderen Kultur für
jeden Einzelnen aus tausenden Details besteht, so unterschiedlich sind die
Erlebnisse und die Bedürfnisse der Rückkehrer.
Was hat Südamerika an sich, das
einen nicht mehr loslässt? Wie machen das die Argentinier, dass die Erinnerung
an ihre fröhliche und lockere Art einem das Herz erwärmen lässt?
„Santiago no tiene riendas, pero
ata.“ – Santiago hat keine Zügel, aber es lässt es einen nicht mehr los. Wie
viel dahinter steckt, wird einem nochmal so richtig bewusst, wenn man nicht
mehr dort ist. Santiago del Estero, die ärmste Provinz des Landes, das braune
Fleckchen auf der Landkarte, das im Vergleich zu anderen Teilen Argentiniens
weder besondere Landschaften noch Bauwerke vorzuzeigen hat. Santiago, die Stadt
der Siesta, die Stadt der „tranquilidad“, der Ruhe, die Stadt der Hitze, der
vielen Mopeds und Straßenhunde. Santiago, die Mutter der Städte, die Wiege des
Folklore, die Stadt, in der man kaum einen Tag verbringt, ohne mit einem lieben
Menschen Mate getrunken zu haben und in der kaum eine Woche vergeht, ohne dass
man zum Asado im Kreis von Freunden und deren Familien eingeladen wird.
So sitze ich also in Deutschland
bei meinen Eltern und denke an meine argentinische „Ersatzfamilie“, ich fahre
Auto und stelle mir vor, gerade im Remis nach La Banda zu fahren, es ist
Sonntag und ich denke, so langsam sollte ich mich umziehen und nach Froilán
aufmachen. Es gibt Brezeln, Knödel, Apfelsaft und Allgäuer Käse – so sehr hatte
ich es vermisst – und wünsche mir nun Empanadas und Medialunas. Ich trinke
Mate, hab noch zwei Kilogramm Yerba als Vorrat, aber alleine hier in Europa ist
das einfach nicht dasselbe. Ab und zu rutscht mir noch ein „que no“ oder ein
„permiso“ raus (Wie sagt man dazu eigentlich auf Deutsch?). Ich ärgere mich
darüber, wie teuer die öffentlichen Verkehrsmittel sind und darüber, dass ich
im Supermarkt jedes Mal ohne Taschen oder Tüten aufgeschmissen bin, ich wundere
mich, wieso niemand Angst hat, dass ihm etwas geklaut wird, und darüber, wie
genau man Verkehrsregeln überhaupt nehmen kann. Ich vermisse es, mit „mi amor,
mi vida“ angesprochen zu werden, hätte gerne ein paar richtig starke Pillen
gegen meinen kratzenden Hals, würde gerne stundenlang mit dem Nachbar Smalltalk
führen oder abends um elf Chips im Kiosk um die Ecke kaufen.
Ständig ertappe ich mich aufs
Neue beim Tagträumen und Vermissen. Nun verstehe ich, was „añoranza“ heißt.