Dienstag, 16. September 2014

Rückkehr nach Europa



Añoranzas – Gefühle nach der Rückkehr


„Na, wie war dein Jahr?“
„Hey, wie cool, du bist wieder zurück! Wie war’s?“
„Wie war’s denn so in Argentinien, bestimmt richtig cool, oder?“

Versuche einer Antwort…
… ähm, ja, es war gut?!
… eine tolle Erfahrung!
… war richtig schön dort!
… ja, ich hatte wirklich ein spannendes Jahr!

So oder so ähnlich antworten wir wahrscheinlich alle auf die Fragen, die wir in den letzten Wochen fast täglich gestellt bekommen haben. Meine Gedanken waren jedes Mal irgendwas zwischen „Wie soll ich das bitte in einem Satz oder gar einem Wort beantworten?“, „Cool, da interessiert sich jemand dafür!“ und „Ach, die Leute hier verstehen es doch eh nicht“… Oft genug haben wir vor unserem Freiwilligendienst in Santiago gehört, das vermutlich Schwierigste daran wäre, nach einem Jahr dann nach Europa zurückzukehren, und das scheint sich nun zu bestätigen. Plötzlich denke ich mir nur noch, ich will einfach wieder zurück, dort war es doch so toll, die Menschen waren viel freundlicher, das Wetter war schöner, das Essen besser, viel lieber würde ich meinen Nachmittag damit verbringen, freche Kinder zu bändigen und zu unterhalten, anstatt bei Regen am Schreibtisch zu sitzen und zu versuchen, mich auf die französische Geschichte im 19. Jahrhundert zu konzentrieren.
Jeder hat irgendwie seine eigene Art, mit dem neuen alten Umfeld und der Verarbeitung der Erfahrungen des letzten Jahres umzugehen. Der eine schweigt still und ist tief in seinen Gedanken, oder versucht, so beschäftigt zu sein, dass die Gedanken und Gefühle gar nicht hochkommen können, der andere skypet jeden Tag mit seinen Lieben am anderen Ende der Welt, der nächste schwärmt und diskutiert und erzählt ausgiebig, was er alles erlebt und gesehen hat. Dass es eine Art „Gebrauchsanleitung“ gibt, mit der Umstellung am besten fertig zu werden, kann ich mir nicht vorstellen. Genauso wie ein Jahr in einer anderen Kultur für jeden Einzelnen aus tausenden Details besteht, so unterschiedlich sind die Erlebnisse und die Bedürfnisse der Rückkehrer.
Was hat Südamerika an sich, das einen nicht mehr loslässt? Wie machen das die Argentinier, dass die Erinnerung an ihre fröhliche und lockere Art einem das Herz erwärmen lässt?
„Santiago no tiene riendas, pero ata.“ – Santiago hat keine Zügel, aber es lässt es einen nicht mehr los. Wie viel dahinter steckt, wird einem nochmal so richtig bewusst, wenn man nicht mehr dort ist. Santiago del Estero, die ärmste Provinz des Landes, das braune Fleckchen auf der Landkarte, das im Vergleich zu anderen Teilen Argentiniens weder besondere Landschaften noch Bauwerke vorzuzeigen hat. Santiago, die Stadt der Siesta, die Stadt der „tranquilidad“, der Ruhe, die Stadt der Hitze, der vielen Mopeds und Straßenhunde. Santiago, die Mutter der Städte, die Wiege des Folklore, die Stadt, in der man kaum einen Tag verbringt, ohne mit einem lieben Menschen Mate getrunken zu haben und in der kaum eine Woche vergeht, ohne dass man zum Asado im Kreis von Freunden und deren Familien eingeladen wird.
So sitze ich also in Deutschland bei meinen Eltern und denke an meine argentinische „Ersatzfamilie“, ich fahre Auto und stelle mir vor, gerade im Remis nach La Banda zu fahren, es ist Sonntag und ich denke, so langsam sollte ich mich umziehen und nach Froilán aufmachen. Es gibt Brezeln, Knödel, Apfelsaft und Allgäuer Käse – so sehr hatte ich es vermisst – und wünsche mir nun Empanadas und Medialunas. Ich trinke Mate, hab noch zwei Kilogramm Yerba als Vorrat, aber alleine hier in Europa ist das einfach nicht dasselbe. Ab und zu rutscht mir noch ein „que no“ oder ein „permiso“ raus (Wie sagt man dazu eigentlich auf Deutsch?). Ich ärgere mich darüber, wie teuer die öffentlichen Verkehrsmittel sind und darüber, dass ich im Supermarkt jedes Mal ohne Taschen oder Tüten aufgeschmissen bin, ich wundere mich, wieso niemand Angst hat, dass ihm etwas geklaut wird, und darüber, wie genau man Verkehrsregeln überhaupt nehmen kann. Ich vermisse es, mit „mi amor, mi vida“ angesprochen zu werden, hätte gerne ein paar richtig starke Pillen gegen meinen kratzenden Hals, würde gerne stundenlang mit dem Nachbar Smalltalk führen oder abends um elf Chips im Kiosk um die Ecke kaufen.
Ständig ertappe ich mich aufs Neue beim Tagträumen und Vermissen. Nun verstehe ich, was „añoranza“ heißt.



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