Mittwoch, 25. September 2013

Alltag in Santiago

Mittlerweile hat uns der Alltag fest im Griff. Oder besser gesagt, es spielt sich langsam ein gewisse Routine ein und vieles ist uns jetzt schon vertraut. Es ist erstaunlich, wie schnell man sich an ein neues Lebensumfeld gewöhnen kann. Was natürlich nicht heißt, dass nicht ab und zu auch merkwürdige Dinge passieren, an die man sich wohl nie gewöhnen wird. Aber so ist Santiago: Probleme gibt es nicht wirklich und wenn mal doch nicht alles ganz nach Plan läuft, dann wird erst mal ein Mate getrunken und über eine mögliche Lösung sinniert. Natürlich gibt es gar kein Plan, aber man kann ja so tun als ob. Konkret bedeutet das zum Beispiel, dass ab und zu der Strom abgestellt wird und man dann plötzlich im Dunkeln sitzt oder die Waschküche unter Wasser steht, weil man mit heißem Wasser gewaschen hat und dann der Schlauch explodiert. Vorgewarnt wird man leider nicht, das passiert einfach, ist aber auch nicht weiter schlimm. Es gibt ja Kerzen und Putzlappen.
Wenn ich von Alltag rede, dann meine ich vor allem, meine Arbeit an den Schulen. Jeden Tag werde ich dort vor eine neue Herausforderung gestellt und erlebe etwas Neues und Unerwartetes. Allein der Englischunterricht stellt schon eine größere Hürde dar. Wenn man mit den Schülern tatsächlich Englisch redet, hat man eigentlich gleich verloren. Nahezu niemand versteht einen dann, schon gar nicht wenn man die englischen Worte nicht mit dem hier typischen santiagenischen Dialekt ausspricht. Ein weiteres Problem ist, dass fast keine Bücher vorhanden sind und man daher meistens Frontalunterricht gibt. Was allerdings zum Problem wird, wenn einem keiner sagt, dass man unterrichten soll und sich dann plötzlich vor einer lauten und ziemlich wild scheinenden Klasse wiederfindet.
 Es kann aber auch passieren, dass die Schule ganz ausfällt, weil am Wochenende mal wieder eingebrochen wurde, die Wasserleitungen geklaut wurden und am Montag dann die ganze Schule ohne Wasser da steht. Oder die Schule fällt aus, weil irgendein ultrawichtiger Feiertag ist, der natürlich gefeiert werden muss und nicht einfach mit Unterricht vergeudet werden darf. So haben wir hier schon den Tag des Kindes, des Lehrers, des Schülers, des Hausmeisters, der Sekretärin, der Industrie und der Bibliothekkarin gefeiert. Natürlich fällt nicht an allen diesen Tagen die Schule aus, aber zumindest an manchen und da es hier so viele Tage für alles und jeden gibt, ist es kaum verwunderlich, dass die meisten Menschen hier schockiert reagieren, wenn wir leider sagen müssen, dass es in Deutschland weder einen Tag des Schülers noch ein Tag des Lehrers gibt und so gut wie immer gearbeitet wird und auch fast nie die Schule ausfällt.
Trotz all den ganzen Festen, die hier gefeiert werden und der unerschütterlichen Freundlichkeit und dem Lebensmut der Menschen, ist nicht alles ganz in Ordnung, wie es auf den ersten Blick vielleicht erscheint. Was ich lange Zeit nicht wusste ist, dass viele meiner Schüler aus sehr ärmlichen Verhältnissen kommen und oftmals viele Probleme zu Hause aber auch in der Schule haben. Der Gründe, warum das nicht so offensichtlich zu sehen ist, sind zum einen die Schüler selbst. Die Art wie sie reden oder über welche Themen sie sich unterhalten, meistens gehen die Gespräche über Justin Bieber, die neusten Trends, was Kleidung und vor allem Schuhe angeht oder die nächste Party am Wochenende, lässt nicht sofort darauf schließen, welchen sozialen und finanziellen Hintergrund die Schüler haben. Auch die hier typische Schuluniform gibt keinen Hinweis und schon gar nicht die Smartphones, die hier quasi jeder besitzt und auch ständig in Gebrauch sind. Vielmehr kleine Bemerkungen und Gespräche mit den Lehrern lassen erahnen, dass nicht immer alles Gold ist, was glänzt.
Wie heftig die Armut allerdings wirklich ist, das hat mir letzte Woche meine Rektorin gezeigt, die mit mir in das Viertel gefahren ist, aus dem ein Großteil ihrer Schüler kommt. Unzählige kleine Hütten, vor denen noch viel mehr Hunde lungern, spielend Kinder auf den Straße und am Ende des Viertels ein riesiger Müllberg, hinter dem der nicht ganz saubere Rio Dulce versteckt ist. Dennoch herrscht auch hier kein Pessimismus und Resignation, in der Suppenküche, in der ich war, wird während dem kochen gesungen und Mate getrunken. Was natürlich nicht heißt, dass es ja eigentlich gar nicht so schlimm ist. Es ist schlimm, denn es ist nicht nur der Müll und die heruntergekommenen Hütten, es ist auch so, dass das Trinkwasser verschmutzt ist und in diesen Vierteln noch viel öfter der Strom abgestellt wird, als in unserem. Dass wird vor allem dann zum Problem, wenn es draußen gerade 55° oder mehr hat und die Klimaanlage dann halt einfach nichts mehr bringt, weil sie eben nicht mehr läuft. Dass man aber extra auf ein richtiges Bad verzichtet, um sich den Luxus einer Klimaanlage zu gönnen, damit man sich wenigstens ein bisschen vor der Hitze schützten kann, interessiert wohl niemanden. Doch nicht nur Klimaanlagen werden von dem Verzicht auf ein Bad gekauft, auch sehr viele Smartphones, denn auf Statussymbole wird hier sehr viel Wert gelegt, was trotzallem auch verständlich ist, schließlich sind diese Schüler genauso Jugendliche wie wir.
Sonst geht es uns allen gut, wenn sich auch noch nicht alle ganz von ihrer Erkältung erholt haben. 

Bald gibt es weitere Impressionen...
Liebe Grüße aus Santiago

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